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Interview mit Aaron Seigo - Teil 1

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KDE 4.5 wurde vor einigen Wochen veröffentlicht. Dies nehmen wir zum Anlass Aaron Seigo (aseigo) zu interviewen.

Ikhaya: Hi Aaron, stelle Dich doch bitte unseren Lesern vor!

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Aaron Seigo

Aaron: Ich bin seit fast einem Jahrzehnt Mitglied der weltweiten KDE-Gemeinschaft. Ich arbeite als Software-Entwickler, biete in Projekt- und Communitymanagment meine Dienste an und helfe dabei, der Welt von KDE ein öffentliches Gesicht durch Präsentationen bei Konferenzen, Durchführen von Interviews wie diesem etc. zu verleihen. Ich habe auch bei unserer gemeinnützigen Dachorganisation, KDE e.V., als Präsident des „Board of Directors“ gearbeitet.

Abseits von KDE lebe ich in Kanada und habe eine junge und glückliche Familie an der Westküste Nordamerikas. Diese bietet eine wundervolle Umgebung, um einerseits die Umwelt und andererseits Musik und Essen zu genießen. Diese gehören zu meinen zwei größten „Lastern“.

Ikhaya: Wie bist du zu KDE gekommen? Woran arbeitest Du derzeit?

Aaron: Ich bin mit KDE kurz nach der Veröffentlichung von KDE 2.0 in Berührung gekommen. Als Emailprogramm nutzte ich KMail, da es das beste grafische Emailprogramm war, dass ich zu der Zeit unter Linux finden konnte. Ich war jedoch nicht wirklich am KDE 1.x Desktop interessiert gewesen, da ich es nicht gerade ansprechend fand – ich war mit dem Blackbox Fenstermanager und ein paar laufenden aterms ganz zufrieden. KDE 2.0 hat das jedoch wirklich geändert: ich sah ihm ein zusammenhängendes Design anhaften, welches wirklich ansprechend war. „Dies“, dachte ich, „könnte wirklich was verändern!“ Also begann ich, die Entwicklung zu Hause über das CVS zu verfolgen und eines Abends zauberte ich eine Fehlerbehebung für den Ausführendialog zusammen und sendete es an eine KDE Mailinglist für den Fall, dass es jemanden interessierte. Am nächsten Morgen hatte ich eine Antwort, dass die Änderung eingespielt wurde und mir wurde für den „Patch“ gedankt. Ich hatte angebissen.

Heutzutage arbeite ich hauptsächlich, jedoch nicht ausschließlich, an den Plasma Workspaces. Dies schließt den KDE Plasma Desktop ein, jedoch auch das Plasma Netbook, Mobile, Media Center und andere von Plasma angetriebene Projekte. Plasma taucht in immer mehr Anwendungen wie zum Beispiel Amarok, Skrooge und Kontact auf und wächst immer weiter. Das hält mich und andere im Team ganz schön auf Trab.

Ich finde aber immer noch Zeit an anderen – auch nicht technischen – Dingen in KDE zu arbeiten. Es gehört viel dazu eine Gemeinschaft wie KDE so groß, dynamisch und vielseitig zu halten. Glücklicherweise haben wir eine große Gruppe an Leuten, die an diesen „unterstützenden Diensten“ arbeiten. Das beginnt mit unseren Systemadministratoren und reicht bis zu der „Community Working Group“, die hilft, die sozialen Aspekte am Laufen zu halten.

Ikhaya: Kannst Du unseren Lesern aus der Ubuntu Welt in einigen, wenigen Sätzen erklären was Plasma ist?

Aaron: Plasma ist eine KDE Technologie zum Erstellen von Desktopumgebungen. Es schließt unter anderem einen erstklassigen Fenstermanager, welcher fortgeschrittene Funktionen wie „Focus Stealing Prevention“, „Window Tabbing“ und Hardware beschleunigte Arbeitsflächeneffekte anbietet und einen Workspace, welcher komplett aus „Widgets“ aufgebaut ist (analog zu Apps auf Smartphones, wirklich), ein. Dazu gehören auch andere wichtige Werkzeuge, die gebraucht werden, um das Beste aus dem Computer herauszuholen, so wie beispielsweise die zentralen Systemeinstellungen.

Wir nutzen diese Komponenten um Produkte wie den Plasma Desktop und Plasma Netbook zu entwickeln und auszuliefern. Plasma Desktop ist eine moderne, gut benutzbare Desktopumgebung für große Computer, während Plasma Netbook für Geräte mit kleineren Bildschirmen und Fingerbedienung (beispielsweise funktioniert es sehr gut auf Tablets) designt ist, die hauptsächlich zum Abrufen von Informationen genutzt werden. Diese verschiedenen Produkte teilen fast die gesamte Codebasis. Dadurch funktionieren Komponenten, welche für ein System geschrieben wurden, auf allen Plasma Systemen gut. Dies kann etwas einfaches wie eine Batterieanzeige sein oder etwas komplexes wie eine Twitter/Identi.ca App.

Ikhaya: Wir haben gehört, dass an Plasma für mobile Geräte gearbeitet wird. Wie entwickelt es sich?

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Screenshot von Kontact Mobile

Aaron: Es schreitet zur Zeit sehr gut voran, zum Teil durch die unglaubliche neue QtQuick Technologie in Qt 4.7 und der gut geplanten Plasma Infrastruktur. Zusammen erlauben uns diese Werkzeuge das visuelle und Bedienungsdesign von der Technologie „unter der Haube“ zu entkoppeln. Dies erlaubt uns nicht nur, Designer für Grafiken und Bedienung als gleichgestellte Entwickler zu etablieren, sondern auch Dinge zu entwickeln wie ein für mobile Benutzeroberflächen optimierter Systemabschnitt. Dieser teilt fast den gesamten zugrunde liegenden Code mit dem vom Desktop bekannten Systemabschnitt, aber ist für kleine Touchscreens angepasst.

Plasma Mobile nutzt auch sehr intensiv das Konzept der durch Aufgaben definierten Aktivitäten. Diese werden durch das Hinzufügen von „Home Screens“ auf dem Handy, welche kontextuell an Konzepte wie „Einen Anruf tätigen“, „ein Spiel spielen“ oder „Online Dienste abrufen“ gebunden sind, benutzt.

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Screenshot von Marble Mobile

Eine Entwicklungsversion von Plasma Mobile im Einsatz kann man auf YouTube sehen:

Hierbei sollte man berücksichtigen, dass Plasma Mobile immer noch eine Alpha Version ist und in diesem Video auf mehr als zwei Jahre alter Hardware läuft. Es ist sehr viel versprechend, besonders da man haargenau die gleiche App auf einem Plasma Mobile Gerät wie auf dem Plasma Desktop benutzen kann!

Natürlich ist es nicht nur Plasma, welches im KDE-Land mobil wird. Marble hat eine ausgezeichnete mobile Version und Kontact Mobile ist vielleicht die beste Email- und Kalenderlösung, die ich je auf einem Smartphone benutzt habe und ich habe mehr als nur ein paar verwendet (und wurde auch mehr als nur ein paar mal enttäuscht 😉 ). KOffice ist zu einem hervorragenden Unterbau für den mobilen Dokumentenbetachter, welcher für Maemo und MeeGo Geräte verfügbar ist, geworden.

Ikhaya: Was sind für Dich die wichtigsten Neuerung KDE SC 4.5?

Aaron: Auch wenn es viele Verbesserungen und neue Funktionen in unserer neuesten Veröffentlichung gibt, denke ich, dass die wichtigste von all diesen die Betonung auf Stabilität und Performance in dieser Veröffentlichung ist. Wir waren in einem starken „Erneuere-und-Entwickele“ Modus während der letzten Jahre, sowohl in der Zeit vor unserer ersten Veröffentlichung der 4.0 Plattform im Jahre 2008 als auch danach. Wir mussten wirklich eine Pause einlegen und daran arbeiten, dem Ganzen den letzten Schliff zu geben und wir haben viel davon im letzten Entwicklungszyklus erreicht.

Dies hat nicht nur den Plasma Desktop und viele der KDE Anwendungen angenehmer im Alltag zu benutzen gemacht, sondern uns auch eine aufgeräumtere Basis für die zukünftige, darauf aufbauende Entwicklung neuer Funktionen gegeben.

Möglichkeiten wie das Routing in der Kartenanwendung Marble, die Verbesserungen in der Dateiverwaltung Dolphins und die vielzähligen Verbesserungen im Plasma Desktop sind alle toll und helfen den Nutzern von KDE Software Spaß und Nutzen in ihnen zu finden … jedoch denke ich, dass das Konzentrieren auf Qualität heraus sticht und sich mehr bezahlt gemacht hat, als irgend etwas anderes im 4.5 Zyklus.

Ikhaya: KDE 3 hat während der Entwicklung die Version 3.5 erreicht. Nun ist KDE 4 ebenfalls bei einer .5 Version, aber in kürzerer Zeit. Wo befindet sich KDE – besonders der Plasma Desktop und der Fenstermanager KWin – im Vergleich zu 3.5?

Aaron: Für die „Desktop Shell“ (Plasma Desktop) selbst gibt es viel mehr Funktionen, als es sie jemals für KDE 3 gab. Ob es nun die Desktop Widgets, die verbesserten Benachrichtigungen, die gewaltig verbesserten Systemeinstellungen und System Informationsanwendungen, die Schönheit durch das SVG Theming oder die fantastischen Arbeitsflächeneffekte wie „Fenster Zeigen“ oder stufenlose Vergrößerung sind, der Plasma Desktop ist deutlich weiter als das, was mit KDE 3 möglich war. Und das beste von allem ist, dass alles in einem weit eleganteren Paket verpackt ist: Wir haben es zum Beispiel geschafft, unsere Konfigurationen zu modernisieren und trotz der gewachsenen Funktionalität zu vereinfachen.

Große Verbesserungen wurden auch in einigen Schlüsselanwendungen wie dem Dateimanager gemacht, welcher ebenfalls im Arbeitsfluss modernisiert wurde und den Nutzern so viele Möglichkeiten bietet wie Tabbed Browsing im Dateisystem, Zugriff auf entfernte Dateisysteme, Tagging und Bewertung, Metadaten Suche sowohl über schnelle Indices als auch über die „traditionelle“ grep-ähnlichen direkte Suche, tolle Vorschaubilder, etc.

Dann gibt es noch komplett neue Funktionalitäten wie die KRunner Suchoberfläche, welche das alten „Befehl Ausführen“ Fenster ersetzte. Sie ermöglicht nicht nur das Starten von Befehlen, sondern auch Schnellzugriff zu Lesezeichen, Webseiten, Kontakten, Musik und durch ihre Plugin-gesteuerte Schnittstelle noch viel mehr.

Es sind auch die kleinen Dinge wie einen USB-Stick anzuschließen und die Geräteüberwachung erscheint am unteren Bildschirmrand ohne den Arbeitsfluss zu unterbrechen und dann erscheint er auch im Dateimanager, im Datei-öffnen Dialog und im Programmstarter gleichzeitig. Drag'n'Drop zu diesen Einträgen funktioniert wie man es erwartet: „es funktioniert einfach“. Dieses Niveau von Integration und Konsistenz zwischen den Komponenten ist etwas an dem KDE seit Jahren gearbeitet hat, aber so erst richtig in den 4.x Veröffentlichungen erreicht werden konnte.

Jenseits der Funktionen ist die Qualität im visualen Design nicht einmal vergleichbar. Es ist leicht Plasma Desktop so einzurichten, dass es sich verhält und anfühlt wie eine KDE 3 Desktopumgebung, aber die Standardeinstellungen bezüglich dem visuellen Anreiz sind eher auf einer Stufe mit dem, was man von Produkten aus Cupertino erwarten würde.

Außerhalb der Desktopumgebung wurden auch bezüglich Qualität, Funktionen und Aussehen Fortschritte erzielt. Ob es nun Gwenview zur Bildbetrachtung, Digikam zur Verwaltung von Fotos, Marble zum Anzeigen von Karten mit OpenStreetmap.org, Konsole für den Zugriff zur Kommandozeile, KDevelop zum Entwickeln von Software, Cantor für ernsthafte Mathematik, Killbots und KPat für etwas Spaß oder KStars und Kalzium für das Lernen sind, die Anwendungen sind ebenfalls mit einer hohen Geschwindigkeit bei der selben Art von Funktions- und Designverbesserungen vorangeschritten.

Ohne Zweifel war KDE 3 eine tolle Sammlung von Produkten. Aber die KDE Platform, Workspaces und Anwendungen haben sich in ihren 4.x Veröffentlichungen weiter entwickelt. Es gibt sehr, sehr wenige Funktionen in KDE 3, die es nicht in heutiger KDE Software gibt, wogegen es eine große Anzahl an Verbesserungen in heutigen KDE Anwendungen gibt, die KDE 3 nie anbot und in vielen Fällen nicht anbieten konnte wegen verschiedenen, grundlegenden Einschränkungen im Design.

Der zweite Teil dieses Interviews wird morgen veröffentlicht.

Dank an martingr für die Screenshots und die Unterstützung beim Übersetzen.