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Neues von Matthew Thomas über die Benutzbarkeit freier Software

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Über sechs Jahre ist es her, dass der Designer Matthew Paul Thomas mit einem kritischen Artikel 🇬🇧 über die Benutzerfreundlichkeit freier Software für Aufsehen sorgte. Nun hat er das Thema wieder aufgenommen und erklärt, warum die Benutzbarkeit bei vielen Open-Source-Programmen noch eine Baustelle ist.

In seinem damaligen Artikel beschrieb er, dass die größenteils freiwillige Arbeit der Entwickler von freier Software dazu führe, dass die „Usability“ der Projekte auf der Strecke bleibe. Als vermutliche Gründe für diesen Zustand nannte Thomas, dass engagierte und talentierte Designer im Open-Source-Bereich eher spärlich gesät seien und bei vielen Projekten durch den Einfluss mehrerer Beteiligter eine klare Linie fehle, frei nach der Redewendung „viele Köche verderben den Brei“. Zudem sei es bei größeren Programmen oft der Fall, dass zwar professionelle Designer zu Werke gingen, sich aber ihre Motivation in Grenze halte, weil gute Vorschläge teilweise nur sehr schwer umzusetzen seien. Zu weiteren Ursachen für schwache Benutzerfreundlichkeit von freien Anwendungen erklärte der Blogger die Imitation von Microsoft- und Apple-Designs sowie den Anspruch der beteiligten Entwickler, die ihre Applikationen so gestalten würden, wie es für ihre Bedürfnisse am besten sei und nicht so, dass die Bedienung auch von einem Anfänger verstanden werden könne. Nicht zuletzt war für Thomas auch die fehlende Bezahlung ein wichtiges Thema, weil Geld die Oberflächen-Künstler dazu antreibe, auch bei Schwierigkeiten und Gegenwind von Seiten der Programmierer weiter an einem gelungenen Design zu feilen.

Wenig später erschien die Fortsetzung 🇬🇧 seines Essays, in der Matthew Thomas weitere Faktoren für die Freundlichkeit einer Benutzeroberfläche anführt. Eine gute Schnittstelle müsse demnach vor den ersten Code-Blöcken entworfen werden und werde nicht dadurch besser, dass man hunderte von Themes und Skins dazu erschaffe. Auch käme es vor, dass man Einbußen bei der Qualität des Designs in Kauf nehme, nur um störende Kommentare von hartnäckigen Benutzern zu vermeiden. Weiterhin hätten viele Mitwirkende nicht die Möglichkeit, die Mittel aufzubringen, um ihre Arbeit fachmännisch testen zu lassen. Stattdessen seien die meisten Projekte auf das Feedback der Anwender angewiesen, das oft weit von der Realität abweiche. Abschließend ging Thomas auf die Nachteile von beliebten Desktop-Umgebungen wie GNOME oder KDE ein und betonte, dass es nicht seine Absicht sei, der Open-Source-Community vor den Kopf zu stoßen, sondern vor allem Impulse für Verbesserungen zu geben.

Soweit die Vergangenheit – manch einer wird sich fragen, warum wir diese Geschichte von 2002 nach sechs Jahren im Eisfach wieder auftauen: Vor wenigen Tagen hat Matthew Thomas den Fall wieder aufgenommen und unter dem Titel „Warum freie Software eine dürftige Benutzerfreundlichkeit besitzt und wie man es verbessern könnte“ einen neuen Blogeintrag 🇬🇧 zu dem Thema veröffentlicht. Gleich zu Beginn schreibt der Designer, dass einige Anwendungen und Betriebssysteme seit seiner letzten Meldung bei der Benutzbarkeit einen Schritt nach vorne gemacht haben und schränkt ein, dass von den Problemen nicht nur freie Software betroffen sei, sondern generell solche, die auf freiwilliger Arbeit beruhe. Seine jüngsten Überlegungen bestehen aus 15 Aspekten, die für Thomas die Benutzbarkeit von Open-Source-Programmen einengen. Darin greift er zum Teil alte Kritikpunkte wieder auf, bietet aber auch Lösungsvorschläge an.

Ganz oben auf dieser Liste steht die mangelnde finanzielle Unterstützung für Benutzerfreundlichkeit. Zwar sei Geld keine Garantie dafür, dass es gut klappt - als Beispiele werden Microsoft, Adobe und andere genannt – doch in den meisten Fällen sei es der entscheidende Antrieb für die verantwortlichen Designer. Mögliche Lösungen für dieses Problem sind laut Thomas Auszeichnungen für gutes Design oder ein Spendensystem, über das Verbesserungen an der Nutzbarkeit belohnt werden sollen. Ebenfalls vertreten ist das Problem, dass es nur wenige Programmierer gebe, die auch Talent beim Entwerfen der Oberfläche besitzen. Der Autor schlägt vor, leicht erreichbare Trainings-Materialien für Programmierer und Grafik-Künstler zur Verfügung zu stellen, um so die Fähigkeiten in allen Bereichen der Interface-Entwicklung zu stärken. Thomas geht auch auf den Punkt ein, dass Verbesserungsvorschläge am Design oft nicht gerne gesehen und wahrgenommen werden, was durch umfangreiche Möglichkeiten zur Rückmeldung positiver gestaltet werden könne. Zudem sei die „Usability“ eines Programms ein Kriterium, das nicht einfach wie die Startzeit oder Geschwindigkeit messbar sei. Benutzer sollten daher über Möglichkeiten wie Screencasts oder Video-Aufnahmen einfacher ihre Testergebnisse zeigen und Feedback geben können.

Im Folgenden erklärt Thomas erneut, warum es besser sei, erst ein Design zu erstellen und dann den Code dazu anzufertigen und kritisiert wiederholt, dass oft zu viele Beteiligte das Ergebnis verkommen lassen, was in seinen Augen durch einen führenden Designer vermieden werden könnte. Ebenfalls bekannt sind die Punkte Imitation anderer Betriebssysteme sowie Interessen der Entwickler. Ersteres sei ein Problem, das man nur schwer lösen könne, bei letzterem dafür umso einfacher: Mitarbeitende Entwickler sollen ermutigt werden, ihre Software der Familie und Freunden zum Testen zu geben, um so die Probleme unerfahrener User aufzuspüren. Auch unter den letzten Problemstellen finden sich mehrere, bei denen auch sechs Jahre später für den Designer noch großes Verbesserungspotential besteht, wie beispielsweise das Auslassen kleiner Feinheiten, die Schwierigkeit, Design-Ideen über E-Mail, IRC und Bugtracking-Systeme zu diskutieren, oder unvorteilhafte Veröffentlichungs-Praktiken bei freier Software.

Matthew Thomas berührt bei jedem seiner Kritikpunkte nicht nur die Oberfläche, sondern beschreibt auch, wo die Hintergründe dieser Problematiken liegen und schließt jeden dieser Aspekte mit einer konstruktiven Idee zur Verbesserung ab. Benutzerfreundlichkeit ist für ihn nach wie vor ein schwieriges Thema, aber er hält alle der genannten Probleme für lösbar und glaubt, dass freie Software mit dem Beheben dieser Schwachstellen noch erfolgreicher werden könnte. Voraussetzungen dafür sind Weiterbildung von Programmierern und Designern, der Dialog auch mit ungeübten Anwendern sowie eine gute Kommunikation unterhalb der Beteiligten.

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