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Ein weiterer Fisch im großen Smartphone-Meer

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Android, Firefox OS, Tizen, Ubuntu Touch: Die Auswahl an „freien“ Betriebssystemen für Mobiltelefone wird in letzter Zeit immer riesiger. Für einen weiteren Mitstreiter – Sailfish OS – wurde nun das erste Smartphone präsentiert.

Jolla

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Jolla Logo
©Jolla

Das Startupunternehmen Jolla gründete sich eigentlich aus einem Entschluss Nokias im Frühjahr 2011: In Zukunft wird es von Nokia keine Smartphones mehr mit MeeGo geben, stattdessen setzt man auf Windows Phone als Betriebssystem – zu jener Zeit noch in Version 7. Das Nokia N9 ist somit das erste und einzige Nokia Smartphone mit MeeGo. Als aus wirtschaftlicher Sicht logische Konsequenz wurden einige MeeGo-Entwickler entlassen. Mit der Überzeugung, man müsse an den Erfolg des N9 anknüpfen, gründeten einige von ihnen das Unternehmen Jolla vor einem knappen Jahr. Momentan arbeiten dort rund 70 Leute.

Der Name Jolla kommt dabei aus dem Finnischen und bedeutet Dingi, das ist ein kleines, dafür aber wendiges Boot. Vermutlich ist das eine Anspielung auf die Größenverhältnisse des „alten Riesen“ Nokia gegenüber dem „kleinem Zwerg“ Jolla.

Sailfish OS

Wie bereits aus der Geschichte zu Jolla deutlich wurde, arbeitete die Mehrzahl der Entwickler bereits bei Nokia und damit an MeeGo. An diesem bestehenden Strang wollte man sich auch weiterhin orientieren. Deshalb zog man Mer, ein von der Community gepflegtes MeeGo, als Grundlage für Sailfish OS heran.

Bedienung

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Sailfish OS Logo
©Jolla

Für die Bedienung entwickelte Jolla eine eigene, neue Benutzeroberfläche. Dabei verfolgte man ein ähnliches System wie Canonical bei Ubuntu Touch: Das Schließen sowie Wechseln von Applikationen erfolgt nicht per Tastendruck, sondern über Touchgesten.

Darüber hinaus ist „richtiges“ Multitasking integriert: Widgets, die auf einer Übersicht angeordnet sind, repräsentieren die aktuell laufenden Programme. Das mag den Kacheln von Windows Phone etwas ähneln, dem entgegen lassen sich aber Live-Inhalte, z. B. ein gerade laufendes Video, anzeigen. Zusätzlich sind sie durch Touchgesten steuerbar, so führt ein Wischer nach links auf ein gerade spielendes Video dazu, dass dieses pausiert. Ein erneuter Wischer nach rechts lässt es wiederum weiterlaufen.

Zusätzlich gibt es einige weitere Raffinessen bei der Bedienung, die den Alltag erleichtern sollen: Mit einem einfachen Wischer von der rechten Seite aus, schließt bzw. minimiert man normalerweise das Programm und lässt den Homescreen erscheinen. Wischt man aber nicht ganz „zu Ende“, verschwindet der Homescreen und es erscheint das vorherige Programm wieder. Des Weiteren lassen sich auf dem Entsperrbildschirm durch einfaches Wischen nach unten vordefinierte Optionen aufrufen, z. B. dass das Smartphone nun lautlos ist.

Wem eine Demovorführung mehr zuspricht, findet ein Video mit dem Chefdesigner von Jolla, Martin Schüle.

Unterbau in Schichten

Auf unterster Ebene gegenüber der Hardware findet sich ein Linux-Kernel, ggf. mit speziellen Anpassungen an die eingesetzte Hardware. Darauf aufbauend folgt beispielsweise Mer Core und die Bibliotheken von Qt, also die graphische Benutzeroberfläche oder Multimedia-Codecs. Die Mittelschicht bildet dann die Jolla eigene Benutzeroberfläche, wie Anmeldebildschirm und Homescreen.

Oberste Schicht bilden die Anwenderprogramme, also die Apps. Die Programme werden über einen eigenen „Jolla Application Store“ erhältlich sein. Die Paketierung der einzelnen Programme findet dabei im RPM-Format statt.

Neben einer Infografik wurde der Aufbau bereits im November 2012 in einem Video veranschaulicht.

Apps

Aus diesem Aufbau ergeben sich drei Technologien 🇬🇧, die dazu verwendet werden können, Apps für Sailfish OS zu implementieren bzw. bereits bestehende zu nutzen:

  • nativ
    Um die größtmögliche Integration und Performance zu erreichen, sollte man Qt Quick unter Sailfish OS einsetzen. Ein SDK 🇬🇧 erlaubt schon jetzt die Entwicklung nativer Programme mit QML.

  • Android-Runtime
    Dank einer eingebauten Dalvik VM wird es von vornherein möglich sein, zahlreiche, bestehende Android-Apps auszuführen.

  • HTML 5
    Zuletzt gibt es auch die Möglichkeit, Apps per HTML, CSS und JavaScript zu entwickeln. Dafür soll Qts Cordova 🇬🇧 und größtmögliche Kompatibilität zu den APIs von Firefox OS vorhanden sein.

Das Jolla Smartphone

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Jolla mit aloefarbener Rückseite
©Jolla

Am 20. Mai, dem „Jolla-Love-Day“, präsentierte 🇬🇧 Marc Dillion, Mitgründer von Jolla, das erste Smartphone mit Sailfish OS. Es trägt ebenfalls den Namen Jolla. Die Präsentation war dabei nicht so überragend wie bei manch einem „Großen“, die grundlegenden Gedanken wurden trotzdem klar.

Innenleben

Die Hardware-Spezifikationen 🇬🇧 sind momentan noch etwas vage, aber die grundsätzlichen Kennzahlen sind bereits bekannt:

So soll das Smartphone einen 4,5" großen Bildschirm, einen noch unbekannten Zwei-Kern-Prozessor und 16 GB internen Speicher besitzen. Zusätzlich lässt sich dieser per Micro-SD-Karte erweitern. Angebunden wird es per UMTS („3G“), in manchen Ländern überdies per LTE („4G“) – wo genau ist aber ebenso noch unbekannt. Daneben wird es eine Kamera mit 8 Megapixeln bieten. Zuletzt lässt sich die Batterie austauschen.

Die andere Hälfte

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Jolla mit roter Rückseite
©Jolla

Das Besondere an Jollas erstem Smartphone ist aber eigentlich nicht die Hardware, sondern viel mehr die Tatsache, dass sich eine Hälfte, die Rückseite, komplett auswechseln lässt. Damit wurde das Geheimnis um „i am the other half“, das eine Woche vor der Vorstellung von Jolla erschien, aufgelöst.

Durch den Austausch der Rückseite ändert man einerseits das Aussehen seines Smartphone, z. B. durch eine anders farbige. Andererseits soll sich auch im Inneren, also auf Softwareseite, etwas verändern. Am naheliegendsten ist z. B. wiederum eine Änderung der Farbgebung beim verwendeten Theme. Dadurch „individualisiert“ man sein Smartphone sozusagen.

Für viele mag das auf den ersten Blick nach einer bloßen Spielerei aussehen, die vor allem Leute mit einer großen Affinität zu Design anspricht. Das mag auch stimmen. Allerdings ergeben sich auf den zweiten Blick auch andere nützliche Einsatzgebiete:

  • Viele Leute aus der Community 🇬🇧 wünschten 🇬🇧 sich bereits im Voraus ein Smartphone mit Hardware-Tastatur. Diese Hoffnung wurde zuerst erdrückt, da das vorgestellte Geräte keine bot, dann aber wieder neu entfacht. Denn mit dem Design in zwei Hälften soll es verhältnismäßig einfach sein, das bestehende Smartphone um eine Tastatur zu erweitern.

  • Sollten entsprechende Verbindungsports vorhanden sein, wäre ein möglicher Zusatzakku denkbar. Das würde vermutlich zu einem dickeren Smartphone führen. Manche Leute nähmen diesen Nachteil aber wohl zugunsten einer längeren Laufzeit in Kauf.

  • Eine einfache Trennung zwischen beruflichen und privaten Daten: Vor Arbeitsbeginn wechselt man die Rückseite. Dadurch sieht man beispielsweise nur noch seine Kontakte und Nachrichten aus der Firma – die privaten verschwinden für diese Zeit. Nach Feierabend wechselt man die Rückseite ein weiteres Mal aus und wird nicht mehr mit Neuigkeiten aus der Arbeit konfrontiert.

Das waren jetzt nur einige wenige Beispiele, die Liste ließe sich noch weiter fortsetzen.

Preis und Vorbestellung

Für die Vorbestellung des Gerätes gibt es drei Möglichkeiten:

  1. keine Vorzahlung: Man erhält eine persönliche Vorbestellungsnummer und zeigt so sein Interesse am Jolla-Smartphone

  2. Vorzahlung von 40 €: Zusätzlich zu einer Vorbestellungsnummer für ein limitiertes Gerät erhält man ein Jolla-T-Shirt

  3. Vorzahlung von 100 €: Zusätzlich bekommt man einen Gutschein im Wert von 100 €, die vom Kaufpreis abgezogen werden.

Die eigentliche Auslieferung beginnt dann Ende dieses Jahres.

Veranschlagt für das Smartphone werden 399 €. Der Preis steht aber noch nicht endgültig fest, so zumindest die Aussage von Antti Saarnio, Vorsitzender des Jolla-Verwaltungsrates, in einem Interview. Das liegt vor allem daran, dass nicht absehbar ist, wie sich die Preise auf dem Smartphonemarkt bis Ende des Jahres entwickeln werden.

Bezug zu OSS und der Community

Aber was hat das Ganze eigentlich mit Linux und dem Gedanken freier Software zu tun?

Zuerst einmal baut Sailfish OS auf bereits verfügbarer freier Software auf, z. B. dem Linux-Kernel, Qt oder Mer. Ohne diese Stücke an Software wäre Sailfish OS wohl nie möglich gewesen. Eine Rückgabe der Weiterentwicklungen an die Community wäre also nur folgerichtig.

Zudem kann die Community durch die Offenlegung aktiv etwas an der Software verbessern. Wie hoch man den Gemeinschaftsgedanken bei Jolla ansieht, wird in einem Blogeintrag 🇬🇧 des CEO von Jolla, Tomi Pienimäki, deutlich:

It’s not DIY (do it yourself) but DIT (do it together).

Kritiker könnten momentan noch anführen, dass Sailfish OS gar nicht Open-Source-Software ist. Das stimmt (zum jetzigen Zeitpunkt). Allerdings ist die Veröffentlichung unter einer Open-Source-Lizenz in Arbeit 🇬🇧. Ob man dieser Zusage wiederum vertraut, ist jedem selbst überlassen.