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Linux am Smartphone

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Während der Linux-Desktop auch Anfang 2015 noch geduldig auf seinen großen Durchbruch wartet, beherrschen Systeme mit Linux-Kernel anderswo fast den gesamten Markt. Natürlich ist der Kreis der Personen, die mit Systemen wie Supercomputern arbeiten, äußerst begrenzt und nicht jeder hat zu Hause einen Verwendungszweck für einen eigenen Server. Andererseits besitzt fast jeder in unseren Breiten andere, unscheinbare, aber wichtige kleine Linux-Systeme, auch wenn sie häufig gut versteckt sind.

Der Artikel wirft einen umfassenden Blick auf eine Art dieser Systeme, auf das „mobile“ Linux, sprich das, was auf Smartphones und Tablets läuft (oder laufen könnte). Die meisten dieser Betriebssysteme unterscheiden sich schon hardwaretechnisch in wichtigen Punkten von ihrer Verwandtschaft auf bzw. unter den Schreibtischen. So setzen mobile Plattformen in der Regel auf Prozessoren mit der energiesparenden ARM-Architektur (mittlerweile auch schon mit 64-Bit), während Desktop-PCs meist einen x86(_64)-Prozessor beinhalten. Auch die inneren Werte, aber vor allem Optik und Bedienung weichen stark vom klassischen Schema des Desktops ab. Keine Überraschung, denn was auf einem 20-Zoll-Bildschirm mit Maus und Tastatur praktikabel ist, erweist sich auf einem 5-Zoll-Touchscreen als ergonomische Katastrophe. Viele Benutzer wissen ob dieser Unterschiede oder aus Desinteresse nicht einmal, dass es sich bei dem, was auf ihren Geräten läuft, um ein Linux handelt. Deshalb hier eine kurze Übersicht über die Linux-Betriebssysteme, die am Mobilmarkt anzutreffen sind bzw. mit denen man in Zukunft rechnen kann.

Android

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Nexus 5
(C) LG, Lizenz: CC-BY 2.0

Von vielen geliebt, von manchen gehasst, aber ohne es zumindest zu erwähnen, kann man keinen Artikel über mobile Betriebssysteme schreiben. Seit 2007/2008 steht das von der Open Handset Alliance entwickelte (größtenteils) freie System zur Verfügung. Google ist de facto der führende Entwickler, aber auch Gerätehersteller wie Samsung und Chiphersteller wie Intel sind involviert. Ursprünglich hauptsächlich Smartphone-Betriebssystem, ist es mittlerweile auch in den meisten Tablets und Smartwatches, aber auch in Multimediasystemen und vielen Hybridgeräten zu finden. Stark anpassbar und für die Hersteller der Geräte kostenlos, entwickelte es sich innerhalb weniger Jahre vom Underdog zum vorherrschenden System in diesem Sektor mit insgesamt knapp 85% Marktanteil an allen ausgelieferten Smartphones im Jahr 2014 weltweit. Allerdings wurde und wird es von der Open-Source-Community wegen der teilweise fehlenden Offenheit kritisiert. In einer EU-Studie 2011 sogar als „am wenigsten offenes Open-Source-Projekt für Mobiltelefone“ bezeichnet.

Viele Nutzer stören sich vor allem am großen Einfluss Googles und der tiefen Integration der proprietären Programme und Dienste des Unternehmens und dem daraus resultierenden Umstand, nicht die volle Kontrolle über das System zu haben. Wegen der großen Vielfalt an Oberflächen, Launchern und Systemapplikationen laufen Updates in Folge des großen Anpassungsaufwands leider in der Regel schleppend an. Deshalb bleiben Sicherheitslücken oft ungepatcht, speziell bei günstigen Geräten. Daraus ergibt sich auch eine große Fragmentierung bei den genutzten Versionen. Dennoch ist es für viele „Normalnutzer“ das System ihrer Wahl – vor allem aufgrund des großen Angebots an qualitativ hochwertigen Apps und der einfachen Bedienung. Wer tiefer in sein System eingreifen will, muss sein Gerät allerdings „rooten“, sprich, Root-Rechte erlangen, gegebenenfalls sind sogar noch weitere Schritte wie das Entsperren des Bootloaders notwendig. Technisch gesehen verzichtet Android auf einen X-Server und viele GNU-Softwarebibliotheken, die man in den meisten Linux-Distributionen vorfindet, beinhaltet dafür aber z.B. die Dalvik VM bzw. Android Runtime um Java-Programme laufen zu lassen. Der aktuelle Versionsstand liegt bei 5.0.2 alias Android Lollipop, ausgestattet mit einer neuen optischen Aufmachung, genannt „Material Design“. Die inoffiziellen Android-„Flagschiffe“ stellen Googles Nexus-Geräte dar. Die meisten Smartphone-Hersteller setzen auf Android, darunter Samsung, LG, Motorola, HTC, Archos, Huawei, ZTE, Asus und Sony.

Android Custom-ROMs, Forks

Wer auf die gewöhnlich vorinstallierten Google-Apps oder sogar alle proprietären Bestandteile verzichten will, muss auf einen Android-Fork oder eine Custom-ROM ausweichen. Letztere basieren in der Regel auf dem quelloffenen Teil von Android (AOSP 🇬🇧). Wem die Offenheit am Herzen liegt, wird wahrscheinlich Custom-ROMs, also von der Android-Community selbst zusammengestellte Versionen, bevorzugen. Auch für Nutzer, die vorinstallierte Hersteller-Apps bzw. -Oberflächen loswerden oder eine aktuellere Version von Android benutzen möchten, sind sie eine Option. Ein entsperrter Bootloader ist gewöhnlich die Voraussetzung zur Installation. Da man dadurch meistens seine Garantie verliert und sein Gerät im schlimmsten Fall unbrauchbar machen kann, ist absoluten Anfängern das Flashen und Rooten eher abzuraten. Eine der bekanntesten Custom-ROMs ist Cyanogenmod 🇬🇧. Um auf Open-Source-Apps zugreifen zu können, ohne sich dem Risiko auszusetzen, über Android-Pakete aus dem Netz Schadsoftware auf sein Gerät zu holen, empfiehlt sich ein alternativer Appstore wie F-Droid 🇬🇧. Beliebte Open-Source-Programme wie Firefox oder der VLC Media Player wurden bereits für Android portiert, auch Libre Office ist in Entwicklung. Bei vielen Custom-ROMs erlangt man auch Zugriff auf ein Terminal.

Die in Europa wohl bekannteste Abspaltung von Android ist Amazons Fire OS, welches auf diversen hauseigenen Geräten läuft und die Google-Dienste durch eigene ersetzt. In China und anderen Schwellenländern wird sogar die Mehrzahl der Geräte mit herstellereigenen Android-Forks betrieben.

Quellen

Tizen

Ursprünglich 2011 von Intel und der Linux-Foundation für Smartphones und Tablets entwickelt, wird es seit 2012/13 zu großen Teilen von Samsung betreut. Bisher war das System aber in der Öffentlichkeit wenig präsent, ein von Samsung 2014 angekündigtes Smartphone wurde nie veröffentlicht. Tatsächlich eingesetzt wurde es bisher in zwei Smartwatches, der „Gear 2“ und „Gear 2 Neo“ und als Update (statt Android) für die „Galaxy Gear“. Alle Geräte stammen von Samsung, das Unternehmen wird das System in Zukunft auch auf sämtlichen Smart-TVs verwenden. Das grundlegende Konzept von Tizen ist die Vernetzung von „smarten“ Geräten. Das beschränkt sich aber nicht nur auf Smartphones und Fernseher, sondern wird auch auf Kameras und Haushaltsgeräte ausgeweitet. Zentrale Zielgruppe sind demnach Interessenten an sogenannten „Smart-Homes“. Ob sich das System auch im Mobilmarkt als Alternative etabliert, bleibt abzuwarten und ist stark von Samsungs Strategie in den nächsten Jahren abhängig. Die aktuelle Version ist 2.3.

Quellen

Sailfish OS

Es wurde 2012 als System der finnischen Firma Jolla Mobile (Jolla Oy) der Öffentlichkeit präsentiert. Jolla wurde von ehemaligen Nokia-Mitarbeitern gegründet, Sailfish OS 🇬🇧 selbst ist die Weiterentwicklung des von Nokia aufgegebenen Systems MeeGo, welches selbst bis auf Red Hat Linux zurückgeht. Dementsprechend wird der RPM-Paketmanager verwendet. Außerdem setzt Sailfish OS auf Wayland statt X11, Applikationen werden in HTML5 und Qt geschrieben. Wegen der großen Ähnlichkeit des Systems mit Ubuntu Touch wird bereits über eine einheitliche Programmierschnittstelle diskutiert, wodurch eine App für beide Systeme nur einmal angepasst werden müsste. Sailfish OS ist auch in der Lage, Android-Applikationen abzuspielen.

2013 wurde mit „Jolla“ das erste Gerät veröffentlicht, durch eine Crowdfounding-Kampagne wurde bereits ein Tablet 🇬🇧 erfolgreich finanziert. Anfangs richtete sich das Betriebssystem vor allem noch an Entwickler, es wird aber seit des Verkaufserfolgs des ersten Smartphones schon jetzt als eine der erfolgversprechendsten Android-Alternativen unter den Linux-Systemen gehandelt. Interessenten können sich das SDK 🇬🇧 von der Herstellerwebsite herunterladen.

Quelle

Firefox OS

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Mozilla Flame
(C) Dominik Wagenführ,
Lizenz: CC-BY-SA 4.0

Im Gegensatz zu Sailfish OS steht hinter Firefox OS mit Mozilla ein bereits sehr bekanntes Unternehmen. Berühmt durch den hauseigenen Browser Firefox, setzen sie auch bei Firefox OS auf Webtechniken, sprich Benutzeroberfläche und Apps werden mit HTML(5), CSS und JavaScript erstellt. Angekündigt wurde das Projekt 2011, 2012 war der Marktantritt unter dem Namen „Boot to Gecko“ geplant. Die ersten tatsächlich erschienenen Geräte wurden von der spanischen Firma Geeksphone 🇬🇧 verkauft (Keon und Peak). Dank diverser Partnerschaften mit Telekommunikationsunternehmen sind Smartphones mit Firefox OS mittlerweile in 28 Ländern verfügbar, darunter auch Deutschland über den Anbieter Congstar (ALCATEL ONETOUCH Fire E).

Ein wesentlicher Unterschied zu anderen mobilen Betriebssystemen besteht darin, dass sich Mozilla nicht auf Highend-Hardware konzentriert, sondern größtenteils auf Einsteigergeräte mit niedrigen bis sehr niedrigen Spezifikationen setzt. Das ist auch der Zweck des Systems – es soll auf möglichst billigen und einfachen Smartphones zufriedenstellend funktionieren, um in aufstrebenden Schwellenländern mit niedriger Kaufkraft erfolgreich sein zu können. Dementsprechend ist es auch nicht überraschend, dass es bisher besonders in Südamerika Erfolg hatte. In Indien wurde mit einem Preis von umgerechnet 25€ sogar eines der bisher billigsten Smartphones überhaupt ausgeliefert, das Intex Cloud FX. Auch ein Streaming-Stick mit Firefox OS wurde per Crowdfounding bereits finanziert. Aktuell verfügbar ist die Version 1.4, die Versionen 2.0, 2.1 und 2.2 befinden sich aber bereits in Entwicklung. Version 3.0 ist bereits in Planung.

Quellen

Ubuntu Touch

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Ubuntu Touch in Aktion
(C) Sujeevan Vijayakumaran,
Lizenz: CC-BY-SA 4.0

Ein komplett anderes Konzept verfolgt Canonical mit der mobilen Version von Ubuntu. Im Gegensatz zu Firefox OS ist es mehr oder weniger stark auf Highend-Geräte ausgelegt. Der Grund liegt darin, dass man sein Ubuntu-Touch-Smartphone problemlos an einen Bildschirm oder Fernseher anschließen und als Desktopsystem benutzen können soll. Letztendlich soll es die perfekte Verschmelzung aus Mobilgerät und Desktop werden, sowohl für Anfänger, als auch für erfahrene Nutzer geeignet. Es ist aber auch eine leichte Version geplant („Starter“), welche auch auf Einsteigergeräten zufriedenstellend funktioniert, dafür aber auf die Möglichkeit der Desktopnutzung verzichtet. Im Prinzip ist Ubuntu Touch kein völlig neues Betriebssystem, sondern ein Port des bekannten Ubuntu für Mobilgeräte bzw. dessen Benutzeroberfläche. Es unterscheidet sich in der Bedienung von der Konkurrenz: Statt Soft- oder Hardwaretasten zu benutzen, erreicht man fast alle Optionen durch Gesten, dem Wischen ausgehend von den vier Seiten des Bildschirms. Die verschiedenen Homescreens werden als „Scopes“ bezeichnet, jedes der vier hat eine andere Funktion (von links nach rechts: Musik, Home, Applikationen, Video). Wie bei den meisten Betriebssystemen sind elementare Applikationen wie der Browser, Kalender, Galerie, Kamera usw. vorinstalliert. Auch auf ein Terminal müssen Nutzer nicht verzichten.

Erstmals angekündigt wurde es 2011 für Ubuntu 14.04 und eine Fülle an Geräten. Während der Zeitplan für die erste „relativ stabile“ Version eingehalten werden konnte (April 2014), wurde der für Ende 2014 versprochene Release der ersten Smartphones verschoben. Als Grund wurden eine verlängerte Testphase und einige Bugs angegeben. „Anfang 2015“ sollen nach neuestem Stand die ersten Geräte erscheinen und ausgeliefert werden – Hardwarepartner in Europa ist Bq und in China Meizu, der amerikanische Markt soll per Onlineversand abgedeckt werden. Zurzeit wird das System noch auf Android-Smartphones (Google Nexus) getestet. Ubuntu Touch 1.0 entspricht Ubuntu 13.10, im Moment aktuell ist Ubuntu Touch 14.10 (Utopic Unicorn).

Quellen


Ein großes Dankeschön an Alias-Anybody für den eingesandten Artikel!